Bearbeitung der altsüdarabischen Minuskelinschriften auf Holzstäbchen aus der Bayerischen Staatsbibliothek in München (2002-2009)

Bei den in Holzstäbchen und Palmblattrippen geritzten Inschriften handelt es sich um Dokumente aus dem Alltagsleben der Bewohner des vorislamischen Südarabien (10./8. Jh. v. Chr. bis 6. Jh. n. Chr.). Im Gegensatz zu den repräsentativen Monumentalinschriften auf Steinblöcken und Fels, welche die auf ihnen wiedergegebenen Vorgänge (Widmungen an Gottheiten, Tatenberichte von Herrschern, juristische Erlässe und Verordnungen) für eine breite Öffentlichkeit sichtbar machen, enthalten die im Durchschnitt etwa zigarrengroßen Holzstäbchen vorwiegend Schriftstücke aus dem geschäftlichen und privaten Bereich. Dieser Inschriftengattung kommt als Träger des Alltagsschrifttums somit eine ähnliche Bedeutung zu wie dem Papyrus in Ägypten oder der Tontafel in Mesopotamien: Neben geschäftlicher Korrespondenz, Mitteilungen über Warenlieferungen sowie Urkunden über zwischen zwei Vertragspartnern getroffene Abmachungen sind hier vor allem die privaten Briefe zu nennen, welche über das rein Geschäftliche hinaus immer wieder Einblicke in das soziale Leben, ja auch in ganz persönliche Anliegen und Probleme der Bewohner Altsüdarabiens ermöglichen.

Während altsüdarabische Texte in Monumentalschrift bereits seit knapp zwei Jahrhunderten in Europa bekannt und in der Folge gründlich epigraphisch ausgewertet sind, kamen Repräsentanten der Minuskelschrift erstmals zu Beginn der 1970er Jahre ans Tageslicht. Die Besonderheiten der Schrift, die sich im Verlauf der Jahrhunderte von einem dem der Steininschriften ähnelnden monumentalen Duktus hin zu einer völlig eigenständigen Kursive entwickelt hat, wie auch der teils völlig neuartige, lexikalisch unbekannte Inhalt der Texte erschwerten die Entzifferung dieser Dokumente. Erst gegen Ende der 1980er Jahre konnten brauchbare Ergebnisse vorgelegt werden. Bis zum Beginn des vorliegenden Projektes Ende 2002 waren nur etwas mehr als 30 Exemplare, vornehmlich Geschäftsbriefe, Urkunden und Namenslisten, wissenschaftlich bearbeitet und publiziert, die meisten davon aus der mittelsabäischen Periode (3. Jh. v. Chr.-3. Jh. n. Chr.). Mehrere Tausend Minuskelinschriften lagern, bis heute weitgehend unbearbeitet, in öffentlichen Sammlungen, deren größte sich im Nationalmuseum und im Militärmuseum von Sanaa befinden. Die bedeutendsten Sammlungen außerhalb des Jemen mit jeweils etwas weniger als 400 Exemplaren werden vom Oosters Instituut in Leiden und von der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) in München verwahrt.

Das Forschungsprojekt hat sich zum Ziel gesetzt, in Kooperation mit der Bayerischen Staatsbibliothek in München den dort befindlichen Bestand an altsüdarabischen Minuskelinschriften, insgesamt rund 380 Texte, wissenschaftlich auszuwerten und zu veröffentlichen. Von November 2002 bis Mai 2009 wurde das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einer vollen Mitarbeiterstelle (BAT (O) II A) gefördert.

In einem ersten Bearbeitungszeitraum von dreieinhalb Jahren wurden sämtliche Inschriften der mittel- bis spätsabäischen Periode (ca. 3. Jh. v. Chr.-6. Jh. n. Chr.) analysiert. Dieses Textkorpus umfaßt mit 205 Inschriften reichlich die Hälfte des Gesamtbestandes der Sammlung und enthält 85 Rechts- und Wirtschaftstexte (Abrechnungen, Quittungen, Schuldscheine u. dgl.), 74 Briefe, 26 Schreibübungen und 7 Inschriften aus der Kultpraxis (vornehmlich Orakelanfragen und -bescheide). Diese Texte sind 2010 in zwei Teilbänden veröffentlicht worden (siehe unten).

Die anschließende zweite Bearbeitungsphase widmete sich den etwa 175 Nummern zählenden älteren Inschriften der Sammlung, worunter sich neben altsabäischen auch zahlreiche minäische Texte befinden. Jüngsten Radiokarbondatierungen zufolge dürften die ältesten dieser Inschriften bereits dem 10. oder gar 11. Jh. v. Chr. entstammen und somit zwei Jahrhunderte älter sein, als die frühesten Monumentalinschriften aus Südarabien gemeinhin datiert werden. Mit 67 Rechts- und Wirtschaftstexten, 28 Briefen, 41 Schreibübungen und 11 Texten aus der Kultpraxis sind die Textgattungen hier ähnlich gestreut wie in den Inschriften der jüngeren Periode. Mit der Veröffentlichung dieser Texte in dem für ca. 2012 geplanten zweiten Band der Edition, welcher auch die nicht beschrifteten Objekte der Sammlung beinhaltet, wird die Bearbeitung des Bestandes der BSB an altsüdarabischen Minuskelinschriften abgeschlossen sein.

→ zur digitalen Sammlung der altsüdarabischen Minuskelinschriften der Bayerischen Staatsbibliothek

Peter Stein, Die altsüdarabischen Minuskelinschriften auf Holzstäbchen aus der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Band 1: Die Inschriften der mittel- und spätsabäischen Periode, Tübingen/Berlin 2010 (Epigraphische Forschungen auf der Arabischen Halbinsel, Band 5, herausgegeben von Norbert Nebes im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts, Orient-Abteilung). 2 Teilbände: 1. Teil (Text), 2. Teil (Verzeichnisse und Tafeln), Wasmuth Verlag, ISBN: ‎978-3803022004, 125 €


Die Bayerische Staatsbibliothek in München ist im Besitz von etwa 400 altsüdarabischen Minuskelinschriften auf Holzstäbchen. Diese Sammlung bietet nicht nur inhaltlich, sondern auch chronologisch einen repräsentativen Querschnitt des Materials. Die Hälfte dieses Bestands wird hier erstmals in bildlicher Dokumentation, Transkription, Übersetzung und ausführlicher Kommentierung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um sabäische Texte aus der Zeit vom 4. Jh. v. Chr. bis in das frühe 6. Jh. n. Chr. (die zweite Hälfte mit den älteren Texten wird in absehbarer Zeit folgen). Erweitert um eine forschungsgeschichtliche und realienkundliche Einleitung und erschlossen durch umfangreiche Register stellt dieser Band die mit Abstand umfassendste Abhandlung zu den altsüdarabischen Alltagsdokumenten auf Holzstäbchen dar.

Presse:

08.07.2011: Alltagssorgen einer längst vergangenen Epoche
Orientalisten der Universität Jena entschlüsseln Inschriften aus dem vorislamischen Arabien

23.05.2005: Antike Stätten im Land der Königin von Saba erforscht
Tagung "Rencontres Sabéennes" erstmals an einer deutschen Universität vom 25.-27. Mai in Jena

17.02.2003: Vom Alltag im "Glücklichen Arabien"
Orientalisten der Universität Jena erschließen Texte in altsüdarabischer Kursivschrift

Titelbild: Die antike Stadt Mārib | © Iris Gerlach

 

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