KULTURELLE KONTAKTE ZWISCHEN SÜDARABIEN UND ÄTHIOPIEN
Rekonstruktion des antiken Kulturraums von Yeha (Tigray/Äthiopien)
Das von der Orient-Abteilung des DAI (Archäologie) und der Forschungsstelle Antikes Südarabien und Nordostafrika der FSU Jena (Epigraphik) durchgeführte Langfristvorhaben untersucht die kulturellen Kontakte zwischen den im frühen 1. Jt. v. Chr. aus Südarabien eingewanderten Sabäern und der in der Region Tigray ansässigen Bevölkerung. Im Vordergrund steht die Erforschung des Prozesses der Interaktion südarabischer und indigener Bevölkerungsgruppen. Den geographischen Schwerpunkt bildet der Fundplatz Yeha, der aufgrund seiner Monumentalarchitektur und schriftlichen Zeugnisse als politisches und religiöses Zentrum dieser kulturhistorisch bedeutendsten und nur ansatzweise erforschten Region am nördlichen Horn von Afrika gilt. Eingebunden sind auch ethnohistorische Forschungen, die aufgrund der konservativen Erinnerungslandschaft von Tigray methodisch begründete Rückschlüsse auf antike Gesellschaftsformen und Lebensweisen erlauben.
Das in Jena durchgeführte epigraphische Teilprojekt umfasst:
Untersuchungen zu den äthio-sabäischen Königsinschriften
Im altsüdarabischen Alphabet abgefaßt weisen die äthio-sabäischen Königsinschriften in Sprache und Formular große Übereinstimmungen mit den entsprechenden altsabäischen Inschriften aus Südarabien aus der 1. Hälfte des 1. Jt. v. Chr. auf, zeichnen sich aber auch durch signifikante Unterschiede zu diesen aus. In einer eigenen Untersuchung sollen diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede systematisch evaluiert werden - insbesondere unter der Fragestellung, inwieweit sie Einblick in die politische, soziale und religiöse Geschichte des Gemeinwesens von DʿMT gewähren. Darüber hinaus werden auch neue Grabungsergebnisse aus Yeha und Umgebung miteinbezogen, die eine detaillierte chronologische Verortung dieser Textgruppe im frühen 1. Jt. v. Chr. erlauben. (Norbert Nebes)
Untersuchungen zu den äthio-sabäischen Inschriften
Ziel der Arbeit ist die philologische und inhaltliche Auswertung der bisher bekannten äthio-sabäischen Inschriften vor dem Hintergrund des altsüdarabischen Textcorpus. Da es sich neben einer Reihe von Namensgraffiti vor allem um Widmungen handelt, liegt ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit auf der Untersuchung des Kultbereichs. Eine Analyse der Personen-, Sippen- und Ortsnamen gewährt Hinweise auf die Herkunft der Verfasser und die Bevölkerungsstruktur von DʿMT. Zudem erfolgt eine systematische Darstellung der sprachlichen und paläographischen Besonderheiten der äthio-sabäischen Inschriften.
Aufnahme der äthio-sabäischen Inschriften in das Online-Wörterbuch Sabaweb
Das äthio-sabäische Corpus setzt sich im Wesentlichen aus zwei Textgruppen zusammen, die aus unterschiedlichen Regionen stammen und sich formal und inhaltlich unterscheiden. Die zahlenmäßig größte Gruppe beinhaltet die etwa 120 Graffiti, die sich alle auf die Region Sänʿafe/ ʿAddi Qäyyəḥ (Eritrea) konzentrieren und aufgrund der zahlreichen Personennamen vor allem onomastische Informationen, aber auch Widmungen und Segensformeln enthalten. Den lexikalisch umfangreicheren Teil des Corpus bilden jedoch die etwa 75 meist von Steinmetzen auf repräsentativen Objekten angebrachten Inschriften und Inschriftenfragmente, bei denen es sich überwiegend um Widmungsinschriften aus den politischen Zentren Yəḥa, Wuqro und Ḥawəlti/Mälazo handelt.
Im äthio-sabäische Wortschatz lassen sich zwei unterschiedlichen Sprachschichten unterscheiden. Den größten Anteil bildet genuin sabäisches Vokabular, teils mit abweichender Orthographie, Phonologie und Morphologie. Einzelne Lexeme sind dagegen indigenen, äthio-semitischen Ursprungs. Darüber hinaus sind auch Wörter belegt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit sabäischer Provenienz sind, aber bisher nicht im südarabischen Lexikon nachgewiesen werden können. Bei einigen ist davon auszugehen, dass es sich um für den äthio-sabäischen Raum wichtige begriffliche Neubildungen handelt.
Das Teilprojekt zielt darauf ab, den Wortschatz der äthio-sabäischen Inschriften in Rahmen eines Belegwörterbuches umfassend lexikalisch aufzuarbeiten. Um das Material für den Nutzerkreis optimal zu erschließen, ist gegenwärtig eine Umarbeitung des bestehenden Online-Auftrittes des Sabäischen Wörterbuchs zu einer übergreifenden Plattform (Sabaweb) in Arbeit. Die Präsentation des Materials inklusive Kontextübersetzungen, älteren Übersetzungsvorschlägen zu den Lemmata sowie etymologischem Vergleichsmaterial inner- und außerhalb Südarabiens folgt daher dem Muster des Sabäischen Wörterbuches. (Helen Wiegleb)
Ethnohistorische Forschungen - Tigray als konservative Erinnerungslandschaft
Gegenstand sind Dokumentation und Analyse lokalen Wissens, mündlicher historiographischer Überlieferungen und traditioneller soziopolitischer Praktiken in ihrem sprachlichen und kulturellen Kontext. Untersucht wird dabei auch die dörfliche materielle Kultur, die vielfach Erklärungen für Funde liefert. Zusätzlich werden mündliche Überlieferungen zur Kultur und Siedlungsgeschichte in Zentral- und Osttigray an mit Yeha verbundenen antiken Stätten dokumentiert und auf ihre Grundmuster analysiert, die in Teilen Erinnerungen an antike Ethnonyme, Kulturtechniken, vorchristliche religiöse Praktiken, lokale politische Organisationsformen und Ereignisse bewahren. (Wolbert Smidt)
Projektleiter
Mitarbeiter
Mariam Kilargiani, M.A.
Dr. Wolbert Smidt
Helen Wiegleb, B.A.
ehemalige Mitarbeiter
Tobias Gerbothe
Dominik Oesterle, M.A.
Robert Stähle, M.A.
Projektpartner
Deutsches Archäologisches Institut, Außenstelle Sanaa der Orientabteilung
Projektleiterin (Archäologie):
Dr. Iris Gerlach
Kooperationspartner
Authority for Conservation of Cultural Heritage (ARCCH)
Tigray Culture and Tourism Bureau (TCTB)


Titelbild: Die anktike Stadt Mārib | © Iris Gerlach